Wir müssen reden!

Wir müssen reden!

Freunde, ihr wisst es, ich gehöre eigentlich eher zu der positiven Sorte. Immer die Kirschen rauspicken, Limonade schmeckt auch aus Spinat, es geht immer weiter, nichts ist unmöglich bis es nicht gemacht wurde. Ihr kennt es. 

Aber heute geht das nicht. 

Warum? 

In der Atacama-Wüste in Chile türmen sich Berge aus neuwertiger Kleidung. So hoch, dass uns vom Hinsehen schwindelig wird. Saisonware, die hierzulande nicht verkauft wird, geht nach Südamerika, denn wenn hier der Winter einbricht ist dort Sommer und so kaufen Zweitverwerter die Ware in Industriestaaten auf, um sie dann in den Drittstaaten (Staaten, die nicht zum Europäischen Wirtschaftsraum EWR gehören) weiter zu handeln. Was dort nicht mehr verkauft wird, wird entsorgt. Da aber die Entsorger mit den Massen nicht schnell genug hinterherkommen, wird die Ware in der Wüste zwischengelagert. Allerbilligste Fast-Fashion landet häufig direkt in der Wüste, denn ohne Label und von schlechter Qualität, verkauft sie sich nicht. Nirgendwo. 

Angeblich ist das weder eine umwelt- noch soziale Katastrophe, so der Bericht auf NTV. Und das macht mich wütend. Denn natürlich ist es eine Katastrophe, wenn tonnenweise billige Polyesterkleidung in der Wüste herum liegt. Warum ist das so – und warum wird es akzeptiert? 

Diese Praktiken haben System und es wird sehr viel Geld mit diesem System verdient. Und so scheint es, als schützen sich die Verantwortlichen gegenseitig. Eine LKW-Ladung voller Textilien wird pro Sekunde entweder auf Deponien abgelegt oder verbrannt. Pro Sekunde! 

In Europa würde die Entsorgung etwa 200 EUR pro Tonne kosten. 

Rund 200 Milliarden Kleidungsstücke wurden im Jahr 2020 weltweit hergestellt – etwa doppelt so viel wie 2014. Verkauft wurden 2020 hingegen “nur” 160 Milliarden. Das stellt Greenpeace in ihrem jüngst veröffentlichten Bericht fest, der zum 10. Jahr der Detox-Kampagne erschien. Im Jahre 2011 hatten Greenpeace begonnen die Textilindustrie auf ihr Chemikalienmanagement hin zu prüfen und große Unternehmen dazu verpflichtet, den Gebrauch von giftigen Chemikalien aus den Lieferketten zu eliminieren. Dies auch recht erfolgreich – allerdings zeigte sich auch das wahre Ausmaß der textilen Umweltkatastrophe: Fast Fashion. Überproduktion, Überkonsum, Überall Müll. 40.000.000.000 unverkaufte Kleidungsstücke. 

Das Buzzword der Dekade heißt: Kreislaufwirtschaft. Und wir glauben wirklich daran. Seit vielen Jahren schon setzen wir uns – auch schon vor der Gründung von Kleiderei im Jahre 2012 – dafür ein. Aber die Idee einer kreislauffähigen Mode, mit wöchentlich wechselnden Kollektionen in den Geschäften kann niemals nachhaltig sein. Zwei Grundprinzipien müssten dafür erst einmal verfolgt werden. Erstes: die Entschleunigung der Warenströme. Weniger ist das neue Mehr. 80% des ökologischen Fußabdrucks eines Produktes werden im Designprozess festgelegt. Die Frage muss immer lauten: ist das Produkt langlebig und qualitativ hochwertig? Dann verbraucht es zur Produktion zwar auch Ressourcen und emittiert CO2, ist durch die lange Verwendung aber nachhaltiger als Fast Fashion Produkte. Und da sind wir schon beim zweiten Schritt: der Schließung des Materialkreislaufes. Kleidung – ungetragene, ja vielleicht gar unverkaufte Kleidung – ist kein Fall für den Recyclinghof. 

Und wir kennen sie alle, die Altkleidercontainer, die auf Supermarktparkplätzen darauf warten, dass wir bequem unsere Ex-Lieblingsstücke hineinwerfen, für den guten Zweck – das gute Gewissen gibt’s gratis. Gute Tat statt Müll. In vielen Fällen ist das gerechtfertigt. Unser Kleiderei-Partner, die Deutsche Kleiderstiftung zum Beispiel sammelt für humanitäre Zwecke. Wenn Kleidung nicht direkt gebraucht werden kann, wird sie verkauft und das Geld finanziert wiederum gemeinnützige Projekte. (Projekte, denen ihr vertrauen könnt findet ihr zum Beispiel bei Fairwertung)

Vieles wird aber auch kommerziell gesammelt und in die afrikanischen Märkte verkauft. Und das ist Freud und Leid zugleich. Der Secondhandmarkt in Ghana sorgt durchaus für Arbeitsplätze, auch für Frauen. Laut einem Bericht von ABC sind es um die 2,5 Millionen – allerdings ist dies schwer nachzuweisen. Was nachweisbar ist, ist die sinkende Qualität der Kleidung. Und das ist schlecht für alle Secondhand-Dealer, denn sie investieren ihr Geld in ungesehene Kleiderballen. Je schlechter die Qualität, desto höher der Verlust. Schmutzige, wertlose Kleidung, die verpresst, verschifft und verkauft wird: wie lässt sich das ethisch rechtfertigen? Schwierig. Die Bilder in diesem ABC-Bericht sprechen für sich und Ajaab, einer der Händler, fasst es zusammen: “In Europe, the UK and Australia, America, they think [that in] Africa here, sorry to say, we are not like human beings. Even if somebody knocked [on] your door [to beg], you cannot just … pick something from your dustbin. In this case … they’re doing this to us.”

Hoffnungen, dass es einen Wandel zu mehr Konsumbewusstsein und vielleicht sogar eine Abkehr von Fast Fashion gibt, wurden spätestens mit diesem Beitrag von FUNK und Simplicissimus zerschlagen, denn die Wahrheit ist: Es geht immer noch schlimmer. Und schlimmer heißt in diesem Fall SHEIN und statt Fast Fashion geht es hier um Ultra Fast Fashion. Noch mehr, noch schneller noch billiger.

Es führt kein Weg dran vorbei: Wir brauchen weniger Konsum, bessere Qualität und Unternehmen, die nicht mehr mit billigen, schnellen Textilien handeln, sondern Dienstleister werden. Das ist auch das Fazit aus dem Greenpeace-Bericht. Statt schnell & viel zu verkaufen sollten hochwertige Produkte designed werden. Diese könnten vermietet, repariert, secondhand verkauft und irgendwann recycelt werden. Was von guter Qualität ist, könnte auch global zirkulieren. Unseren textilen Müll über den Globus zu verschiffen ist aber weder umweltverträglich noch moralisch vertretbar. 

So Freunde, und was heißt das für uns? Es heißt nicht locker lassen. Der Koalitionsvertrag der Ampel ist gut und bedenkt viele Punkte, die Treiber dieser Katastrophen sind. Zur Kreislaufwirtschaft gibt es aber nur einen kurzen Abschnitt, der auf Textilien als Ressource nichtmal eingeht:  “Anspruchsvolle Recyclingquoten, Wettbewerb und Produktverantwortung werden als Eckpunkte einer modernen Kreislaufwirtschaft gefestigt.” Auf EU-Ebene sieht es etwas besser aus. So geht Frankreich mit einem Gesetz zur Abfallbekämpfung und zur Kreislaufwirtschaft voran. Ab 2022 ist es verboten nicht verkaufte Textilien zu vernichten. Sie müssen gespendet oder recycelt werden. Die „Extended Producer Responsibility“, (EPR), also erweiterte Produzentenverantwortung, besagt, dass jede:r, der/die für das Inverkehrbringen von verpackten Produkten verantwortlich ist, eine Gebühr für das Recycling seiner/ihrer Verpackungsabfälle entrichten muss. Die EPR gilt auch in Deutschland. In Frankreich, bezieht sich diese nur auch auf die Textilien selbst und nicht nur ihre Verpackungen. Unternehmen müssen für die Entsorgung der Textilien vorab zahlen. Das macht es unattraktiver billige Kleidung in Massen zu produzieren und attraktiver, hochwertige, langlebige Textilien zu designen. Auch Schweden zieht 2022 nach. Bulgarien, Katalonien und Großbritannien arbeiten an Gesetzesentwürfen.

Was können wir tun? Wir müssen laut sein, aktiv werden! Redet mit euren Freund:innen, eurer Familie, Arbeitskolleg:innen. Fordert nachhaltige Geschäftsmodelle bei den Unternehmen ein und unterstützt zirkuläre Entrepreneurs. Vielleicht sollten wir eine Petition zur erweiterten Produzentenverantwortung starten (ich halte euch auf dem Laufenden).

Hinterfragte euren eigenen Konsum. Teilt eure Kleidung! Ob in privaten Kleidertauschparties oder in einem Kleiderei-Abo, Möglichkeiten gibt es mittlerweile zum Glück viele. 

Das Umweltinstitut München, eine gemeinnützige Organisation, die sich für Klimaschutz und eine nachhaltige Energiewende sowie eine ökologische Landwirtschaft ohne Gentechnik und chemisch-synthetische Ackergifte einsetzt hat, passend zum Thema einen kostenlosen Slow-Fashion-Ratgeber: Dein Weg zum öko-fairen Kleiderschrank herausgegeben. 

Ein paar gute News aus unserem Kleidi-Haus gibt es aber doch noch, sozusagen zur Aufheiterung, denn so ganz die Hoffnung verlieren wollen wir ja nicht.

Als allererstes unser Winterspecial mit LANIUS – einem Label, das schon seit über dreißig Jahren zeigt, das Unternehmensverantwortung und Mode sich nicht ausschließen. Gründerin Claudia Lanius stellt höchste Ansprüche an ihre Kollektion, alles wird fair und mit ökologisch nachhaltigen Materialien produziert. Mehr dazu findet ihr hier.

Und es gibt Neuzugang in der Kleiderei! Diese Woche zieht Kleiderly bei uns in Köln und Freiburg ein. Kleiderly produziert die weltweit ersten Sonnenbrillen und Bildschirmbrillen aus recycelten Textilien. Dadurch werden Textilien von Verbrennungsanlagen fern gehalten. Mit ihrer zum Patent angemeldeten Innovation, löst Kleiderly somit zwei Probleme auf einmal – das des Textilabfalls und des Plastiks.

Lasst’ uns das neue Jahr nutzen, um mehr Menschen auf die schmutzigen Praktiken hinter dem schönen Schein aufmerksam zu machen. Denn, und das ist auch die bittere Realität, es wird viel zu wenig darüber gesprochen. 

xxx

Thekla